Die Wirtschaft nach der Krise – TRADE

Es ist nicht einfach, meinen guten Freund Markus vom Laptop wegzubekommen, wenn er gerade in den Schnitt eines seiner Filme vertieft ist. Doch ein Thema zieht immer: Wenn wir uns darüber aufregen, wie Deutschland die Digitalisierung verschläft, ist er Feuer und Flamme. Man hätte so viel Innovation vorantreiben können, träumt er vor sich hin. Wortreich malt er mir ein Szenario, in dem Drohnen unsere Einkäufe nach Hause transportieren. Das hätte den Einzelhandel während der Pandemie geschont, Supermärkte nicht zu Virus-Brutkästen gemacht und Lieferengpässen durch Panikeinkäufe vorgebeugt. In China sei das längst Normalität.

Nun, wir sind noch nicht in dieser schönen neuen Zukunft angekommen. Unsere Realität besteht aus langen Warteschlangen vor’m REWE und überall sonst. Der Handel hatte Covid-19 nur wenig entgegenzusetzen und wurde von der Pandemie durchgewirbelt. Im Zuge dessen hat sich diese Branche neu aufgestellt – und einige Lehren gezogen, die schon lange überfällig gewesen wären. 

Amazon: Gewinner oder Verlierer der Krise? 

Als Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon, Ende April die Quartalszahlen veröffentlichte, waren die Gesichter von Anlegern eher lang: Zwar verzeichnete der Versandriese ein Umsatzplus von 15,5 Milliarden im Vergleich zum Vorjahresquartal, aber der Gewinn ging um über 40% zurück

Der Onlinehandel ging in den letzten Monaten zwar durch die Decke, aber ein Versandzentrum zu unterhalten, wurde in Zeiten der Pandemie unproportional teurer. Bezos selbst sagt voraus, dass er dieses Quartal 4 Milliarden Dollar nur in die Sicherheit seiner Angestellten und der Lieferketten stecken will. Ein kluger Move: Schon im März hatten sich Amazon-Mitarbeiter mit Covid-19 infiziert. Wenn sich das Virus auf ein ganzes Fulfillment Center ausbreitet, hätte das fatale Konsequenzen. Amazon macht ein Drittel des Onlinegeschäfts in Deutschland aus. Leider entbehrt der nächste Satz nicht einer gewissen Zynik: Der Online-Gigant Amazon ist längst systemrelevant. 

In Anbetracht der andauernden Krise tut sich eine Akquisition als besonders zukunftsweisend hervor: Im Juni 2017 kaufte Amazon den amerikanischen Lebensmittelhändler Whole Foods. Im ursprünglichen Konzept wollte Amazon damit einen Sprung in den stationären Handel wagen: Mit einem kostspieligen Kamera-Netz erlauben die Läden es den Kunden, ohne das lästige Anstehen an der Kasse einzukaufen. Jeder Griff ins Regal wird registriert und beim Verlassen des Regals wird die Einkaufssumme direkt vom Amazon-Konto abgebucht. Dass sich das Geschäft mit Lebensmitteln allerdings so schnell digitalisiert, davon hätte wohl nicht einmal Bezos geträumt. 

Wie Corona den Onlinehandel mit Lebensmitteln beschleunigt

Meine erste Bestellung in einem Online-Supermarkt tätigte ich Mitte März. Ich dachte, so könnte ich besonders clever den Hamsterkäufern umgehen. Ich wurde schnell enttäuscht: Eine Lieferung, normalerweise binnen eines Tages möglich, sollte über 2 Wochen dauern. Deutschland entdeckte kollektiv den Lebensmittelversand.

Ob das für Lebensmittel-Einzelhändler ein wünschenswertes Szenario war, ist fraglich. Im Supermarktgeschäft gewinnt klassisch der Player mit den niedrigsten Margen, es geht um jeden Cent. Sich eine eigene Versandstruktur aufzubauen, ist kostspielig und längst nicht für alle möglich. Da tun sich eher Premium-Marken hervor, so zum Beispiel REWE mit einem eigenen On-Demand-Lieferservice und Edeka mit einer Beteiligung an Picnic

Die Kleinen bleiben hier weiter in Schockstarre, obwohl gerade die jetzige Krise ungeahnte Möglichkeiten für unternehmensübergreifende Kooperationen böte. Denn nicht nur der Einzelhandel leidet, sondern auch der Mobilitätssektorzwischenzeitlich lag die Mobilität der Deutschen über 55% unter dem Durchschnitt, was fatal für jedwede Mobilitätsdienstleister, von Uber bis zum Autoverleih gewesen ist. Im Restaurant-Gewerbe hat diese Not zu strategischen Partnerschaften geführt: Die Gastronomiekette L’Osteria zum Beispiel nutzte die Autoflotte von Sixt, um Speisen auch im Lockdown an ihre Gäste zu liefern. So ein Handschlag würde auch dem Einzelhandel ein spannendes Experimentierfeld bieten, ohne dass gleich eine eigene Infrastruktur her muss. 

Einkaufszentren und die Zukunft des stationären Handels 

Kürzlich titelte das Wirtschaftsmagazin Forbes, dass in den USA 100.000 stationäre Läden im Zuge der Corona-Krise dauerhaft schließen werden. Was für eine große Zahl von Unternehmern den wirtschaftlichen Ruin bedeutet, ist auf der Makroebene vor allem die Beschleunigung eines sich seit Jahren manifestierenden Trends: Der Versandhandel läuft den Brick & Mortar Stores davon. 

Wenige Unternehmen bekommen die G-Kräfte so stark zu spüren wie Einkaufszentren – Die Kombination aus riesigen Immobilienflächen und exorbitanten Innenstadtmieten bedeutet gerade in Zeiten des Lockdowns ein massives Verlustgeschäft. Da helfen auch die zahlreichen Innovationen nichts, die Betreiber von Shopping Malls seit Jahren unternehmen, um im Kopf der Konsumenten weiter relevant zu bleiben: Probiert wurde vieles, von diversen Entertainment Formaten über Pop Up Stores bis hin zu Augmented Reality Store-Konzepten. Letztes Jahr erst eröffnete in den USA ein überdimensioniertes Shopping Center namens “American Dream”, komplett mit Achterbahn, Skipiste und Wasserpark. Solche Spielereien sorgen für Schlagzeilen, aber die Lukrativität dieses 5-Milliarden-Dollar-Projektes wäre selbst ohne Corona fraglich gewesen: Das britische Magazin The Economist mahnt, dass seit Jahren keine rentablen Freizeitparks mehr geöffnet haben. Somit vereint “American Dream” zwei strauchelnde Geschäftsmodelle miteinander. Die Erfolgschancen stehen in den Sternen. 

Fakt ist: Digitale Infrastruktur ist eben billiger als Innenstädte mit riesigen Betonhallen zu pflastern. Über kurz oder lang werden nur die obligatorischen Shoppingtouren noch die Existenz von Malls rechtfertigen. Doch auch hier schläft die Onlinebranche nicht und experimentiert mit diversen Formaten von Social Commerce: Über verschiedene Hebel wird versucht, soziale Interaktionen auch beim digitalen Einkaufen zu simulieren. In Deutschland bietet der Anbieter Groupify beispielsweise Nutzern Rabatt, wenn sie zusammen mit Freunden auf verschiedenen Plattformen einkaufen.

Mein guter Freund Markus würde sich freuen: In China ist Social Shopping längst Normalität.

Fazit: Corona verstärkt die Probleme des Einzelhandels

Dass die aktuelle Pandemie eine Zerreißprobe für alle stationären Händler ist, sollte klar sein. Doch die Probleme grassieren schon lang in der Branche: Der anhaltende Onlineshopping-Trend und horrend steigende Mieten in den Innenstädten führen dazu, dass bis 2022 ca. 25% aller Shoppingmalls in den USA schließen werden – ohne Corona. 

Zwar entwickeln Store-Betreiber kontinuierlich neue Lösungen, um die Kraft von Offline-Angeboten auszuspielen – weg vom plumpen Shopping, hin zum Entertainment-Erlebnis -, doch viele dieser Konzepte sind extrem kostspielig. Hier müssen innovative, schnell umsetzbare Lösungen her, um gegen die aufsteigende Online-Welt standzuhalten, die mit immer wirkungsvolleren Konzepten Menschen auch im Netz zum gemeinsamen Shopping bewegt. 

Die Zukunft wird denen gehören, die innovativ und adaptionsfähig bleiben. Viele Läden werden aus den Innenstädten verschwinden und Platz für neue Stadtplanungskonzepte machen, für mehr Wohnraum oder Grünfläche. Das ist kein Grund zur Verzweiflung, sondern die nächste Stufe sozialen Zusammenlebens, in dem Marken auch weiterhin Bestand haben werden, wenn sie die Zeichen der Zeit richtig einschätzen. 

Im nächsten Kapitel wird es schmerzhaft, denn wir beleuchten die Branche, die von Corona mit Abstand am härtesten getroffen wurde: TRAVEL.

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