tl;dr: unser Recap zur re:publica 2019
Bereits zum 13. Mal lud die re:publica die digitale Netzwelt nach Berlin ein, um sich dort über aktuelle Themen aus den Bereichen Medien, Kultur, Technik und Politik auszutauschen. Ein breites Programm auf über 20 Stages hielt für jeden Besucher interessante Punkte bereit. Auch wir waren vor Ort.
Too long; didn’t read (tl;dr) war das ausgeschriebene Motto der diesjährigen re:publica. Selbst hielt man sich wohl nicht daran, denn das dreitägige Programm war breit gefüllt: Auf über 20 Stages konnte man sich zu digitalen Themen in Bezug auf Medien, Kultur, Politik und Technik informieren und austauschen. Da kann man auch schonmal den Überblick verlieren, auch wenn man das Programm fein säuberlich studiert und immer bei sich hat.
Steffen, Nico und Michael haben den Eröffnungstag der Messe miterlebt und dabei ein breites Spektrum von der Eröffnungsrede des Bundespräsidenten bis zur Abschluss-Keynote von Sascha Lobo erlebt.
Eindrücke von Michael
Meine erste re:publica und dann – natürlich – gleich das Problem: wohin als erstes? Der erste Konferenztag hielt für mich viele spannende Themen bereit, sodass ich mich zu einigen Zeitslots am liebsten gevierteilt hätte und wohl trotzdem noch so manches Highlight verpasst hätte.
Spannend war für mich die Keynote von Stefan Kaufmann (Stadt Ulm), welche die Potenziale von Open Data zeigte. Er vertrat die These, dass das Next Big Thing für intelligente Verkehrswege in Städten gar nicht aus der Privatwirtschaft kommen müsse, sondern in die Hand der Städte gehöre und sie dafür schon alles Wichtige besitzen. Denn es gibt bereits Vorzeigeprojekte auf Basis von Open Data. Das größte Problem im öffentlichen Personennahverkehr sei die Koexistenz der verschiedenen Dienstleister wie Bus, Bahn und Taxi, die nicht miteinander kommunizieren.
Mit digitransit gibt es in Skandinavien bereits ein erstes erfolgreiches Projekt, das mehrere Open Source Softwares unter einem Dach vereint und dabei von öffentlicher Hand finanziert wird. Die Stadt Helsinki nutzt dies beispielsweise, um mehrere Dienstleistungen für den öffentlichen Verkehr miteinander zu verknüpfen: Nutzer erhalten in einem Tool Informationen zum ÖPNV, Car- und Bikesharing und können alle Dienstleister in einer Umgebung nutzen. Kommunen könnten dieses Projekt leicht adaptieren, denn alles basiere auf Open Data.
Wie Städte auch gezielt solch eine Zusammenarbeit verschiedener Dienstleister nutzen können, zeigt Los Angeles. Die Stadt hat ein Datenformat verabschiedet, das jedes der Sharing-Angebote nutzen will, das in Los Angeles aktiv sein will. Alle Daten zu den bereitgestellten Sharing-Fahrzeugen müssen so zentral auch über dieses Datenformat bereitgestellt werden und auch für andere Apps zur Verfügung stehen. Städte und Kommunen können also durchaus auch den digitalen Fortschritt für den öffentlichen Verkehr aktiv fördern und dabei auf Open Data zurückgreifen.
Mit spannenden Zahlen konnte auch Alex Dogariu, Executive Manager bei Daimler, aufwarten. Seine Keynote beschäftigte sich mit Voice User Interfaces. Denn, so seine These, bis 2025 sollen sprachgesteuerte User Interfaces die Kommunikation im Kunden- und Business-Bereich dominieren. Der Weg dahin ist jedoch noch lang, denn die Akzeptanz von sprachgesteuerter Eingabe ist noch sehr zurückhaltend. In den USA hat zwar schon gut jeder fünfte eine Kaufabsicht für sprachgesteuerte Assistenten, in Deutschland hingegen sind es gerade einmal 6 %. Doch sind es vor allem junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahren, die sich für sprachgesteuerte Interaktionen begeistern können.
Aktuell werden vor allem Suchanfragen über Sprachassistenten durchgeführt. Das stellt viele Beteiligte vor neue Herausforderungen. Allen voran natürlich Google. Denn wie können Suchergebnisse sinnvoll via Sprache vorgestellt und auch gleichzeitig monetarisiert werden? Für SEOs eröffnet sich ein ganz neues Feld, denn Suchergebnisse und die passenden Inhalte müssen auch für eine auditive Wiedergabe aufbereitet werden. Da sind lange Landingpages eher hinderlich. Und auch die Suchenden selbst stellen eine Herausforderung dar. Eher wenige Menschen werden wohl in aller Öffentlichkeit Dinge wie „Hey Google, welche Tipps gibt es für die Entfernung von riesigen Schimmelflecken?“ in ihr Smartphone sprechen. Manche Dinge tippt man vielleicht doch lieber unbeobachtet ein.
Es bleibt spannend zu sehen, wie sich die Akteure hier weiterentwickeln und wie intelligent die Technik wird. Denn bald sollen Systeme wohl auch ohne Initialwörter wie „Hey Google“ oder „Hey Alexa“ reagieren. Doch wie genau erkennen dann die Sprach-Assistenten normale Unterhaltungen und buchen nicht plötzlich eine Reise, nur weil man sich mit Freunden über mögliche Urlaubspläne unterhält? Die Erwartungshaltung an Voice UI ist auf jeden Fall groß und das über viele Bereiche hinweg. Denn auch sprachgesteuerte Kundendienste am Telefon können und sollen intelligenter werden und durchaus menschlicher wirken. Schon jetzt können das einige Systeme sehr gut. Dabei werden auch automatisiert kleine „ähms“ mit eingebunden, sodass der automatisierte Ansprechpartner am Telefon menschlich(er) wirkt.
Highlights von Nico
Nach meiner ersten re:publica, elf Stunden spannenden Vorträgen und Diskussionen fühlte ich mich auf der Heimreise sehr geerdet. Im Gegensatz zu klassischen Marketing-Konferenzen mit der Vorstellung von noch größeren, krasseren und performanteren Kampagnen dreht es sich auf der re:publica gänzlich um Internet und Digitalisierung. Hier geht es um die Frage, welche Verantwortung die Akteure der Digitalisierung gegenüber der Gesellschaft haben.
Patrick Stegemann und Sören Musyal haben sich zum Beispiel auf Instagram umgeschaut, um herauszufinden, wie die Neue Rechte Influencer nutzt mit dem Ziel, neue Anhänger zu akquirieren und ein neues Image aufzubauen. Interessant war, dass Influencer, die rechtes Gedankengut verbreiten, auf den ersten Blick nicht als „rechts“ zu erkennen sind. Sie nutzen funktionierende Formate in den sozialen Netzwerken, um sich dem Mainstream anzupassen. So wirken ihre Posts schon fast „normal“.
Neu ist auch, dass die Neue Rechte Gesichter zeigt, wie zum Beispiel das von Melanie Schmitz. Durch Personen soll eine Nähe zu den Followern aufgebaut werden. Das war früher undenkbar. Die Sprache der Rechten ändert sich zum Normalen und genau das ist das Gefährliche. So lässt sich rechtes Gedankengut an eine größere Masse verbreiten, ohne bedrohlich zu wirken. Stegemann und Musyal sind der Meinung, dass Rechts-Extremismus kein Gesellschaftskonflikt mehr ist, sondern sich zu einem Infokrieg wandeln wird.
In anderen Sessions wurden viele weitere Themen besprochen und diskutiert, wie zum Beispiel unsere Freizügigkeit, wenn es um persönliche Daten geht. Um diesem Kontrollverlust entgegenzuwirken, gibt es bereits Ansätze, um diese Daten kontrollierbar zu machen. In einer von vielen Podiumsdiskussionen wurde diskutiert, inwiefern Unternehmen eine Verantwortung für nachhaltiges Handeln haben. Einig waren sich alle bei dem Ansatz, dass die Kapitalorientierung von Unternehmern sich zu einer ökologischen Orientierung umwandeln muss. Es muss eine Wirtschaftsreform mit nachhaltigen Zielen geben. Ich bin gespannt, inwiefern sich dieser Wandel wirklich realisieren lässt.
tl;dr-Zusammenfassung von Steffens Eindrücken
Auch wenn es mich mit ein wenig Unverständnis zurückgelassen hat, dass man sich dieses Jahr zwischen re:publica und OMR entscheiden musste, so habe ich meine Wahl nie bereut. Die re:publica ermöglicht wie keine zweite Konferenz den Blick auf das Big Picture. Fern unseres Marketing-Alltags dreht sich hier alles um Digitalisierung, Gesellschaft, Umwelt und Globalisierung. Das hilft auch anschließend im Arbeitsalltag, sein eigenes Handeln in einen größeren Kontext zu bringen. Von der Eröffnung durch unseren Bundespräsidenten bis zur Abschlussrede von Sascha Lobo ein sehr inspirierender Tag. Es gibt immer weniger Experten und diese kennen sich auch noch immer weniger aus. Das war die Kernthese von Sascha. Lasst uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass sich das wieder ändert!