Barrierefreiheit in den sozialen Medien: Ein Leitfaden für inklusives Social Media Management 

Sehen, hören, sich bewegen und Informationen verarbeiten: für viele Menschen selbstverständlich. Nicht aber für die 7,56 Millionen Personen über 18 Jahren, die in Deutschland mit einer anerkannten Schwerbehinderung leben. Einmal angenommen, eure Zielgruppe sind allen über 18-Jährigen in Deutschland, entsprächen die genannten Personen über 10 % eurer Zielgruppe. Nicht nur zum Bundesweiten Sehbehindertentag am 6. Jni 2024 ist es deshalb Zeit, dass wir uns einmal näher mit inklusiven Social-Media Inhalten-befassen. In unserem Blogbeitrag erhaltet ihr praktische Empfehlungen und Tipps.

Was heißt Barrierefreiheit überhaupt? 

Einschränkungen bei den Sinneswahrnehmungen, im Bewegungsapparat bzw. der Motorik oder bei der Informationsverarbeitung, etwa bei Nicht-Muttersprachler*innen oder bei Konzentrationsschwäche, können sich negativ auf das Erlebnis in sozialen Netzwerken auswirken. Denn Inhalte, die z. B. rein visuell oder nur auditiv gestaltet sind, schließen immer eine bestimmte Gruppe betroffener Personen aus.  

Artikel 9 der 2006 von der UN verabschiedeten und 2009 in Deutschland in Kraft getretenen Behindertenrechtskonvention fordert aber für alle Menschen den „gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit […] offenstehen […].“ Soziale Medien als digitaler, öffentlicher Raum, in dem wir Informationen und Neuigkeiten mitunter in Echtzeit austauschen, lässt sich hier klar verorten.   

Partizipation durch digitale und soziale Teilhabe erfordert also, dass wir die eigenen Inhalte zugänglich(er) gestalten. Barrieren müssen Schritt für Schritt abgebaut werden, damit alle an Diskursen im digitalen Raum mitwirken und von den Mehrwerten der Plattformen profitieren können. Ein Zitat aus der Aktion Mensch Studie „Digitale Teilhabe“ von 2023 (S. 51) bringt die heutige Relevanz sozialer Medien auf den Punkt: „Es hat schon mit der Nabelschnur zur Welt zu tun, dass man einfach alles mitkriegt.“ (m, mit beginnender Lernbehinderung). Moderner Social Media Content denkt deshalb die für Betroffene im Alltag unerlässliche Nutzung von Tastatursteuerungen, Sprachausgaben, Braille-Zeilen, Joysticks und Co. mit. 

Inklusion und wirtschaftlicher Mehrwert – das geht?  

Und wie! Betroffene Personen werden durch zugänglichen Content ernst genommen und nehmen derart engagierte Unternehmen im besten Fall als benutzerfreundlich wahr – das stärkt euer Image. Barrierefreie Inhalte eröffnen euch aber auch die Möglichkeit, bisher nicht erreichte Zielgruppen zu erschließen und neue, potenzielle Kund*innen zu erreichen.

Ein frühzeitiger Einstieg in barrierefreie Praktiken signalisiert zudem technologische Kompetenz und soziale Verantwortung, denn die Umsetzung steckt in der breiten Masse noch in den Kinderschuhen. Wer hier Zeit und Ideen investiert, um mit einem sinnvollen Konzept eigene Kanäle zu bespielen, geht als Vorreiter voran.  

Typische Barrieren in sozialen Medien 

Um einzuordnen, wie ihr eure Profile barrierefrei(er) gestaltet, braucht es zunächst ein Verständnis für typische Barrieren. Im Allgemeinen können wir drei Gruppen zusammenfassen: 

  1. Auditive Barrieren – Was wird da gesagt?  Gehörlose oder schwerhörige Personen können Formate wie Videos mit akustischen Inhalten ausschließlich visuell wahrnehmen. Automatische Untertitel werden oft fehlerhaft hochgeladen. Dies führt zu Verständnislücken.
  2. Visuelle Barrieren – Wer oder was ist da zu sehen? Was steht dort geschrieben? Erblindete Personen können rein visuell präsentierte Informationen nicht erfassen. Nutzer*innen mit Seheinschränkungen haben auch Schwierigkeiten mit kleinen Texten und Formularfeldern, insbesondere bei mangelndem Kontrast. Dies führt zu Fragen wie „Wer oder was ist auf dem Bild zu sehen?“ und „Was steht dort geschrieben?“
  3. Kognitive Barriere – Worum geht es da? Komplexe Informationen, wie lang verschachtelte Sätze mit Fachbegriffen, sind mitunter schwer verständlich. Das betrifft nicht nur Menschen mit Lernbehinderungen, sondern auch solche mit Hörbeeinträchtigungen, die bestimmte Begriffe nicht kennen, da sie diese noch nie gehört haben. Nicht für alle Worte gibt es eine Übersetzung in Gebärdensprache. Worum es in einem Beitrag geht, bleibt diesen Personen oft unbeantwortet.

Und was kann ich nun tun?

Ich muss an dieser Stelle ehrlich sein, dass ich bis auf eine – durch meine Brille nicht weiter beeinträchtigende – Sehschwäche in keiner Weise von den heute thematisierten Behinderungen betroffen bin. Aus diesem Grund wäre es anmaßend, euch Handlungsempfehlungen auf dem Silbertablett zu servieren und zu sagen: bitteschön, damit macht ihr garantiert alles richtig. Ich kann euch hier mein zusammengetragenes Wissen verfügbar machen. Ob ihr dieses zielführend anwendet, werden euch nur Betroffene sagen können.  

Daher appelliere ich an euch: ermittelt die Bedarfe direkt bei denen, die ihr mit euren Maßnahmen erreichen wollt! Erkundigt euch nach Verbesserungspotenzialen eurer Social-Media-Auftritte und lasst euren scheinbar barrierefreien Content auf tatsächliche Verständlichkeit prüfen.  

Außerdem sollten Betroffene nicht nur an Aktionstagen wie dem Diversity Day sichtbar sein und eine Plattform erhalten. Wirkliche Inklusion spricht nicht nur alle Personen jedes Geschlechts, Alters, jeder Herkunft, jeder körperlichen und geistigen Verfassung usw. an, sondern bezieht diese auch aktiv ein. Lasst sie mit Zitaten zu Wort kommen oder eure Inhalte mitgestalten. Personen mit Behinderungen müssen endlich sicht- und hörbarer (!) werden. 

Fotodatenbanken wie gesellschaftsbilder.de sind bspw. eine erste Möglichkeit, sich an lizenzfreiem Bildmaterial für redaktionelle Inhalte mit Betroffenen für eigene Kampagnen zu bedienen, wenn noch kein direkter Kontakt im eigenen Kreis besteht. Nur, wenn wir auch diese Dimension von Vielfalt zeigen, tragen wir zur Entstigmatisierung von Behinderung bei.

Die Fotodatenbank www.gesellschaftsbilder.de ist ein Angebot, um die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden.

Wie erreiche ich Personen mit Gehöreinschränkungen? 

Personen, die gehörlos geboren sind, haben oft einen kleineren Wortschatz und bevorzugen visuelle Inhalte, weshalb sie gern Plattformen wie Instagram und Facebook nutzen. X, ehemals Twitter, ist aufgrund der reinen Textebene weniger beliebt. 

Die bisher am häufigsten verbreitete Maßnahme, um Content zugänglicher zu gestalten, sind Untertitel – nützen sie doch auch all jenen, die unterwegs ohne Kopfhörer Videos konsumieren wollen. Doch hier gibt es auf vielen Kanälen noch Verbesserungspotenzial. Wer nach einem Vorbild sucht, wird beim Instagram-Kanal @news_wg fündig, etwa bei diesem Reel über Organspende

Hier meine Tipps für Untertitel in Videos:

Was nun, wenn ihr ein rein auditives Content Piece zugänglich machen wollt, etwa einen Podcast? Hier haben sich Transkripte als ultimativer Gamechanger bewährt. Ein Vorreiter war hierbei in Pandemie-Zeiten das Corona-Update des NDR. Der Dialog der Podcast-Hosts wurde verschriftlicht und als Link in den Shownotes hinterlegt. 

Was nun, wenn ihr ein rein auditives Content Piece zugänglich machen wollt, etwa einen Podcast? Hier haben sich Transkripte als ultimativer Gamechanger bewährt. Ein Vorreiter war hierbei in Pandemie-Zeiten das Corona-Update des NDR. Der Dialog der Podcast-Hosts wurde verschriftlicht und als Link in den Shownotes hinterlegt. 

Auch in einem LinkTree oder auf eurer Website könnt ihr einen solchen Link einfügen. Bewährt haben sich entweder inhaltliche Zusammenfassungen oder die Verschriftlichung des gesamten Gesagten. Mit Speech-to-text-Tools wie mygoodtape.com könnt ihr Audiodateien ganz easy in Text umwandeln. Aber nehmt auch hier immer eine Prüfung vor, damit Inhalte nicht verloren und wahrheitsgetreu formuliert werden. Hier findet ihr eine praktische Übersicht verschiedener kostenpflichtiger Spracherkennungs-Tools

Ein Transkript des Podcasts „Coronavirus-Update“ des NDR

Wie erreiche ich Personen mit Seheinschränkungen? 

Wer beim Sehen eingeschränkt ist, greift ebenso auf andere Sinneswahrnehmungen zurück. Erblindete Personen etwa nehmen ihre Umgebung nicht nur tastend, sondern auch hörend wahr. Sie lassen sich Texte vorlesen und sind auf Beschreibungen durch andere angewiesen.

Mich hat einmal eine erblindete Person nach der Beschaffenheit einer Straße und eines Fußwegs gefragt, die er durchlaufen wollte. Um einschätzen zu können, wo er entlang gehen könnte, musste er sich auf meine angemessen ausführliche und dennoch nicht zu detaillierte Beschreibung der Bedingungen verlassen. So ähnlich verhält es sich mit Alternativtexten für Bilder und Videos im Internet, die Betroffenen von Screenreadern vorgelesen werden. Was wir längst von Websites und unserem SEO Team als wichtige Maßnahme für Barrierefreiheit und höhere Rankings in Suchmaschinen kennen, ist auch in den sozialen Medien angekommen.  

Hier meine Tipps für eure Alternativtexte:  

Beispiel für einen Alternativtext in Instagram

Bei Instagram findet ihr die Alt-Text-Option direkt beim Upload in der App. Ihr öffnet dazu den Bereich „Erweiterte Einstellungen“. Dort findet ihr im Abschnitt „Barrierefreiheit“ den Alternativtext. Im Gegensatz zu Facebook könnt ihr diese Alternativtexte auch nachträglich noch einfügen, indem ihr bei bereits veröffentlichten Beiträgen denselben Pfad geht.

Bei Facebook steht euch die Option ausschließlich im Posting-Prozess zur Verfügung. Nachdem ihr eurem Beitrag ein Bild hinzugefügt habt, wählt ihr die Option „Bild bearbeiten“ aus. In einem Untermenü erscheint u. a. das Formularfeld „Alternativtext“. Übrigens: habt ihr App-Verknüpfungen vorgenommen und ladet auf beiden Plattformen gleichzeitig euren Content hoch, überträgt es die Alternativtexte nicht automatisch in beide. 

Auch die Captions eurer Beiträge werden von Screenreadern vorgelesen. Hier kommen meine Tipps für Captions, die Screenreader mitdenken:   

Beispiel für eine gelungene Caption mit genderneutralen Formulierungen, Binnenversalien und Alternativtexten (Quelle: Charta der Vielfalt auf Instagram)

Für die Personen, die nicht gänzlich erblindet sind, lohnt sich übrigens auch ein Überdenken eurer Grafiken. Angemessene Schrift- und Objektgrößen sind ein erster Anhaltspunkt. Erkennbarer werden diese durch starke Kontraste zum Hintergrund. Mithilfe des Kontrastrechners könnt ihr das für eure im Corporate Design festgelegten Farben im RGB- oder HEX-Farbformat ganz einfach nachprüfen.  

Der Kontrastrechner schätzt für euch das Verhältnis aus Zeichenfarbe und Hintergrundfarbe ein. 

Achtet ansonsten auf eine gute Beleuchtung und genügend Abstand zur Kamera bei Aufnahmen von Personen. Gerade Aufnahmen für Übersetzungen der deutschen Gebärdensprache sollten einen starken Kontrast zwischen Oberteil und Händen mitdenken.  

Maßnahmen für Personen mit Lern- oder geistiger Behinderung und Fremdsprachler*innen 

Der Schlüssel zu dieser Personengruppe ist die Leichte Sprache. Darunter kann man sich in der Regel schnell etwas vorstellen, aber tatsächlich handelt es sich dabei um ein komplexes System an Regeln, dem sich eine immer größer werdende Forschungsgruppe der Universität Hildesheim widmet. Es empfiehlt sich, eure Inhalte entweder direkt als leichte Caption zu formulieren, einen Absatz in Leichter Sprache unter der normalen Caption zu ergänzen oder mithilfe der Carousel-Funktionen eine Extra-Slide mit den Informationen in Leichter Sprache bereitzustellen. 

Hier eine Auswahl an leicht umzusetzenden Formulierungsregeln, die bereits einen starken Effekt auf die Verständlichkeit haben:  

Abbildung 6: Beispiel für eine Extra-Slide in Leichter Sprache (Quelle: @forschungsstelle_ls auf Instagram)

Von der Theorie in die Praxis: eure nächsten Schritte  

Viele der beschriebenen Maßnahmen lassen sich ohne großen Aufwand sofort umsetzen: Alternativtexte, starke Kontraste, Binnenversalien und Untertitel sind kleine Hebel mit ersten Effekten. Fragt euch daher zuerst, mit welchen ihr startet und bei welchen Empfehlungen ihr Herausforderungen seht. Überlegt euch dann, mit welchen Lösungen ihr diesen begegnen könnt.  

Komplexer und schwerer sind möglicherweise Entscheidungen über die Implementierung von DGS-Übersetzungen oder die konsistente Anwendung leichter Sprache. Überlegt euch daher – im Idealfall in Zusammenarbeit mit Betroffenen – ein für eure Brand sinnvolles Konzept

Wir stehen euch bei Bedarf gern beratend bei der Ausarbeitung solcher Konzepte zur Seite. Denn: Barrierefreiheit auf euren Kanälen in den sozialen Medien ist nicht nur ein Zeichen sozialer Verantwortung, sondern auch eine Chance, eure Reichweite zu erweitern und euer Image als inklusive Marke zu stärken. Wer die Herausforderung annimmt, positioniert sich als Vorreiter in der digitalen Welt von morgen.  

Fallen euch noch mehr Möglichkeiten oder Tools ein, die bei der Umsetzung barrierefreier Social Media Konzepte angewandt werden? Wir freuen uns über eure Anregungen in den Kommentaren!

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