Der Wahlkampf im Netz
Es sind nur noch wenige Tage, bis sich in Deutschland die Urnen mit Stimmzetteln füllen und wir am Abend gespannt auf die Auszählung zur Bundestagswahl 2021 warten. Wo wir unser Kreuzchen setzen, entscheiden wir natürlich selbst. Ein bisschen nachhelfen wollen die Parteien dann aber doch, immerhin fließen in diesem Jahr rund 60 Millionen Euro in den politischen Wahlkampf.
Neben Ausgaben für Plakate, Flyer, Infostände und Events geht in diesem Wahlkampf auch ein erheblicher Anteil der Gelder in die digitale Wahlwerbung. Bei den Grünen sind es immerhin knapp 20% des Budgets. Geld ist im Netz aber nicht alles. Entscheidend sind natürlich genauso die Qualität und die Relevanz der Inhalte und die wollen wir uns mal genauer ansehen.
Die KanzlerkandidatInnen
Modernität, Innovation und Fortschritt – das alles sind Schlagworte mit denen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz ihre Wahlkampfreden nur zu gern schmücken. Schaut man sich die Social-Media-Kanäle der KandidatInnen an, ist von dieser Stimmung allerdings nur noch wenig übrig. Auf Facebook und Instagram sehen wir die drei genauso glatt gebügelt wie im Fernsehen. Persönlichkeit und Nähe? Fehlanzeige!
Inhaltlich monologisieren sich unsere KanzlerkandidatInnen durch die Netzwerke und schreiben in ihren Beiträgen quasi ihr Parteiprogramm nieder. Die t3n spricht in einem Artikel sogar vom “politischen Bullshit Bingo” (Quelle: t3n). Anstatt die Community mit hinter die Kulissen des Wahlkampfes zu nehmen und sich als Mensch zu zeigen, erleben wir im Netz eher ein Deja Vu der letzten Tagesschau.
Olaf Scholz
SPD-Kandidat Olaf Scholz kann in den sozialen Medien bisher die wenigsten UserInnen rekrutieren. Seinem Facebook-Kanal folgen derzeit etwa 40.000 Fans, auf Instagram sind es 57.000.
Gespiegelte Beiträge auf Facebook und Instagram zeigen Olaf Scholz in professionellen Werbevideos oder bei Interviews und Auftritten. Insgesamt wirken die Account eher wie ein Tagebuch, in dem er seine Community über seine Highlights im Wahlkampf informiert. Auf dem Instagram Account gibt es genau ein Reel vom Tag der Industrie, das jedoch wenig beeindruckend und erst recht nicht nativ ausfällt.
Auf Twitter zählt er aktuell knapp 181.000 FollowerInnen. Hier finden UserInnen jedoch auch nur Werbeslogans zum Parteiprogramm der SPD und zu den Zielen des Kandidaten.
Armin Laschet
Auf jeden Fall spricht er gern von Modernität und Innovation für unser Land. Nur konnten wir die in den letzten 16 Jahren mit der CDU in der Regierung nicht so erleben, wie es sich viele gewünscht hätten. Und auch auf seinen Social-Media-Kanälen liefert Laschet keine Argumente für einen Wandel mit ihm an der Spitze.
Auf seinem Facebook-Kanal versammelt er immerhin 38.000 Fans, auf Instagram sind es 81.000 FollowerInnen. Was wir zu sehen bekommen, sind professionelle Werbevideos, die – mit dramatischer Musik hinterlegt – Laschets Einsatz für die Gemeinschaft (in NRW) unterstreichen. Mit dem Hashtag #wegenmorgen zeigt Laschet im Netz seine Ambitionen, die Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen. Am Sonntag wird sich zeigen, ob die Mehrheit in Deutschland das auch will. In vielen Beiträgen warnt uns der CDU-Kandidat vor allem vor einem Linksrutsch, der “den Wohlstand aufs Spiel setzt”, anstatt über eigene Ziele und Ideen zu sprechen.
Auf Twitter zählt Armin Laschet rund 184.000 FollowerInnen. Hier zeigt er sich vor allem in seiner Funktion als Ministerpräsident, feiert Erfolge und spricht über Missstände. Der Wahlkampf kommt auf Twitter nur unterschwellig durch, Laschet sezt mehr auf Kollegialität mit anderen Parteimitgliedern, redet über Fußball und macht sich gegen Kriminalität und Terrorismus stark.
Annalena Baerbock
Die Community der Social-Media-Netzwerke wie Instagram oder TikTok ist jung und besonders an Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz interessiert: Ein Vorteil für die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock, die sich in Bezug auf die FollowerInnen-Zahlen auch einen großen Vorsprung zu ihren beiden Konkurrenten verschaffen konnte. Auf Facebook folgen ihrem Account rund 66.000 Fans, auf Instagram sind es beeindruckende 305.000 FollowerInnen.
Mit Blick auf die Inhalte sind jedoch kaum Unterschiede zu ihren beiden Konkurrenten aus CDU und SPD zu entdecken. Was wir sehen, sind Bilder der Wahlkampf-Tour, ein Besuch beim Bio-Bauernhof oder professionelle Werbespots, die die Kandidatin selbst z.B. in der Szenerie deutscher Wälder zeigen. In ihren Beiträgen führt die Kandidatin ähnlich wie Scholz oder Lachet quasi Tagebuch, gibt ihrer Community Statement und Updates durch, lädt aber nicht zur Diskussion ein. Ein Community Management gibt es quasi nicht.
Immerhin finden sich auf dem Kanal Baerbocks auch einige Reels, diese haben allerdings mit den erfolgreichen Format nur die Spotlänge gemeinsam. Auch auf Twitter ist Baerbock aktiv, über dieses Netzwerk erreicht sie mit ihren Updates zum Wahlprogramm etwa 368.000 FollowerInnen.
AFD und Grüne stark im Netz
Während unsere KanzlerkandidatInnen im Netz ordentlich die Werbetrommel rühren, ruhen sich andere Parteien und deren Mitglieder natürlich nicht aus. Ich kann derzeit beispielsweise keine Website besuchen, ohne dass mich Christian Lindner aus irgendeiner Ecke anlächelt.
Besonders stark sind im Netz die AFD und die Grünen unterwegs. Kontroverse Themen wie die Migrations- und die Klimapolitik sorgen im Netz für viel Gesprächsstoff in den Kommentarspalten. Die hohen Interaktionsraten sorgen zusätzlich für eine hohe Sichtbarkeit. Für die populistische AFD erweist sich vor allem der Messenger-Dienst Telegram als fruchtbarer Boden, denn hier treffen sie nicht nur auf Mitglieder, sondern auch auf Interessen-Gruppen, bei denen sie sich leicht Gehör verschaffen können. Für heftige Diskussion auf Facebook und Twitter sorgte beispielsweise die Kampagne “Grüner Mist”, die nicht nur an den Werbeträgern in Deutschlands Großstädten prangte, sondern auch auf Twitter trendete.
Andere Stimmen
In diesem Wahljahr sind im Netz nicht nur Parteien und ihre Mitglieder in eigener Sache unterwegs. Ganz oben mit dabei ist auch YouTuber Rezo mit seinen Videos zur “Zerstörung der Politik”, die einigen Wirbelwind ins Geschehen bringen. Die Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) fuhr im Juni eine Wahlkampfkampagne gegen Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock, die für Aufsehen im Netz sorgte. Unter dem Slogan “Die zehn Verbote” wird Baerbock in der Kampagne mit zwei Steintafeln in den Händen abgebildet, auf denen es vor allem um die Klimaziele der Kandidatin geht. Aktivisten von Compact reagierten prompt mit einer Kampagne im selben Stil, nahmen dabei aber Kurs gegen CDU-Kandidat Laschet.
Wie in der letzten Social-Media-Auslese bereits angesprochen, mischen aber auch Persönlichkeiten aus Wirtschaft und der Kunst-Szene mit. Interessant ist, dass die jüngere Generation ihr politisches Interesse vermehrt auf den eigenen Social-Media-Kanälen teilt und ihre Reichweite für politische Botschaften nutzt. Beispiele sind Aminata Touré, Noreen Thiel oder der 28-jähriges Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor.
Gut beraten ist offensichtlich auch der FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger, der mit seinen 72 Jahren nochmal auf TikTok durchstartet:
Fazit
Was war noch gleich das innovativste Merkmal der “Neuen Medien”? Achja, es war die Interaktion! Das Potenzial der sozialen Netzwerke liegt im Dialog. Der Austausch zwischen den Usern ist extrem wertvoll. Auf den Kanälen von Baerbock, Laschet und Scholz herrscht jedoch eher Frontalunterricht. Was soll man also zusammenfassend sagen? Unsere KanzlerkandidatInnen sind zwar den Schritt gegangen, sich in den sozialen Netzwerken zu zeigen, sie schöpfen jedoch deren Potenzial nicht im Entferntesten aus und nutzen die Account als einseitige Sprachrohre für ihre Botschaften, anstatt sich nahbar und echt zu zeigen oder sogar in den Dialog mit den Menschen zu gehen, die sie wählen sollen.Wer sich noch ein bisschen tiefer in das Thema Wahlkampagnen in den sozialen Netzwerken einlesen will, findet auf W&V einen ausführlichen Bericht zum eingesetzten Werbebudget der verschiedenen Parteien und den Social Media Accounts der wichtigsten Figuren.