The Golden Age of Podcasts: Ist der Hype noch real?
Wer sich in den letzten Monaten mit offenen Augen und einem intakten Bewusstsein innerhalb der Marketing-Szene bewegt hat, der konnte dem Thema „Podcast“ nicht aus dem Weg gehen. Jeder besitzt eine Meinung und gefühlt auch einen Podcast. Doch: Ist der Hype überhaupt berechtigt? Wer sich intensiver mit Podcasts auseinandersetzt, merkt schnell, dass es sich dabei um ein besonderes Medienformat handelt, aber auch, dass die von vielen Personen prophezeite Entwicklung und Bedeutung von Podcasts vor allem durch Ahnungslosigkeit dominiert werden. Die Quote aller Deutschen, die regelmäßig Podcasts hören, liegt bei drei Prozent – zum Vergleich: Die Aufklärungsquote eines Fahrraddiebstahls liegt durchschnittlich bei vier Prozent. Wie steht es also um ein Format, das gar nicht so verbreitet ist, wie es der Hype vermuten lassen würde?
Disclaimer: Ich mag Podcasts. Extrem.
Seit 2005 höre ich regelmäßig Podcasts, mein Podcatcher unterstellt mir einen täglichen Podcast-Konsum von ca. einer Stunde, ich hege ein besonderes Faible für lange Podcasts und bin kein Spotify-Fan, wenn es um Podcasts geht. Kurz: Ich schätze mich als regelrechten Podcast-Ultra ein. Doch beobachte ich die derzeitigen Versprechungen dieses Mediums eher kritisch, denn oft kann das Format diese unmöglich erfüllen. Umso wichtiger ist das Verständnis von Podcasts, deren Einsatzmöglichkeiten und Reichweite.
Starting a podcast in 2019 pic.twitter.com/Lrx39rXNSp
— Mike Camerlengo (@MCamerlengo) October 19, 2019
Ist der Podcast-Hype real?
Die Frage nach der Berechtigung des Hypes um Podcasts lässt sich nicht einfach beantworten. Drei Faktoren können aber zumindest im Ansatz Aufschluss darüber geben, wie beliebt Podcasts wirklich sind.
1. Die Anzahl an Podcasts
Die Anzahl an auf iTunes oder Spotify verfügbaren Podcasts ist ein sehr statischer und eindeutiger Hinweis über den Verbreitungsgrad. Waren es im April 2018 noch 550.000 Podcasts auf iTunes, hat sich dieser Wert innerhalb eines Jahres auf 700.00 erhöht (+150.000). Derzeit werden pro Woche 3000 neue Podcasts in Apples Podcast-Library hinzugefügt. Schätzungsweise werden wiederum täglich 575 neue Podcasts dem Apple Podcast-Verzeichnis hinzugefügt. Zum Vergleich: Es gibt 60 Millionen Business-Accounts auf Facebook. Doch dieser Vergleich hinkt: Lassen sich Social Media Posts in wenigen Sekunden durchscrollen, können Podcasts zwar schneller abgespielt werden, jedoch muss dafür prinzipiell deutlich mehr Zeit eingeplant werden. Podcasts stehen dadurch in einer deutlich stärkeren Konkurrenz untereinander als andere Online-Medien.
2. Die Anzahl an deutschen Podcasts
Die Zahlen aus 1) sagen jedoch noch nichts über die Verbreitung von Podcasts in Deutschland aus. Glaubt man den Zahlen aus dem Podcast-Forum Sendegate, dann befinden sich im Podcast-Verzeichnis von Apple insgesamt mehr als 15.000 deutsche Podcasts. Wirklich aktiv sollen davon ca. 8.400 sein, d.h. dass in diesem Jahr bereits eine Aktualisierung im Feed vorgenommen worden ist. Am häufigsten vertreten sind dabei Podcasts aus der Kategorie Bildung, Gesellschaft & Kultur, Musik & Filme und Komödie. Als Hosting-Plattformen geben Podigee, SoundCloud und Feedburner den Ton an.
3. Die Anzahl an Podcast-Hörern
Podcasts zeichnen sich besonders durch Dezentralität aus. Während hinter YouTube, Instagram oder TikTok gigantische Plattformen stecken, sind Podcasts in den wenigsten Fällen plattformabhängig. Das macht es schwierig zu sagen, wie viele Podcast-Hörer es wirklich gibt. D.h. hier verlassen wir uns weitestgehend auf Nutzungsstudien – deren ermittelte Werte sich aber teilweise deutlich unterscheiden:
- Laut der ARD / ZDF Onlinestudie hören mind. 3% aller Deutschen wöchentlich Podcasts ( ~2.1 Millionen)
- OMR-Informationen zufolge hören 10 Millionen Menschen pro Woche Podcasts
- Laut einer ARD Werbetochter gibt es in Deutschland insgesamt 20 Millionen Podcast-Hörer
- Die Bitkom spricht von „jedem 5. Deutschen“, der Podcasts hört
- Podstars gehen von 1,3 Mio. täglichen Podcast-Hörern aus
Warum aber variieren die Zahlen so enorm? Der Grund hierfür dürfte die Begriffsdefinition von Podcasts sein. Werden Personen gefragt, ob sie Inhalte zeitversetzt im Internet ansehen, dann mag das partiell zur Definition eines Podcasts passen, trifft jedoch nicht den Kern des Formats. Nur weil ich mir z.B. das heute-Journal am nächsten Morgen in der Mediathek zum Frühstück ansehe, zählt das noch lange nicht als Nutzung von Podcasts. Deutlich realistischer dürfte daher die Schätzung der ARD/ZDF Onlinestudie sein, die aktuell von 3% aller Deutschen ausgeht.
Alle wollen das „Netflix für Podcasts“ werden
Ein weiterer Baustein für die gesteigerte Aufmerksamkeit für Podcasts findet sich in Spotify und anderen Diensten wie Deezer, audible oder Luminary wieder. Jeder einzelne dieser Dienste will den vorhanden Whitespace im Podcast-Markt nutzen und die führende Plattform werden. Spotify nimmt die Sache dabei besonders ernst und sorgte mit der Übernahme des Podcast-Unternehmens Gimlet Media für 230 Millionen US$ für besonders viel Furore. Zudem gelingt es Spotify allein durch seine Basis von mehr als 217 Millionen Usern dem Format durch die Integration in seine Plattform neues Bewusstsein zu verschaffen. Doch das Schwert, mit dem Spotify kämpft, hat zwei Seiten:
Zwar verleiht Spotify dem Medium eine extreme hohe Aufmerksamkeit auf seiner Plattform. Podcasts werden dadurch vielen Personen nähergebracht, die vorher keine Berührungspunkte damit hatten und die durch Dezentralität nur schwer erreicht werden können. ABER: Podcast-Macher erhalten im Gegensatz zu Musikern keine Vergütung für ihre bereitgestellten Inhalte und die Podcasts unterliegen den Regeln von Spotify & Co. Gleichzeitig folgen Podcaster, die ihren Feed bei Spotify hinterlegen, genau dem Plattform-Prinzip, das bereits vielen Unternehmen auf Facebook zum Verhängnis wurde. Wie dieser Weg geendet ist, lässt sich sehr eindrücklich in der ständig gesunkenen organischen Reichweite einsehen. Umso mehr Vorsicht und Bedacht sollte daher bei der erneuten Zuwendung einer neuen Plattform vorhanden sein.
Spotify selbst geht davon aus, dass zukünftig 20 Prozent der Zeit auf ihrer Plattform mit sogenanntem „Non-Music“-Content verbracht wird. Einen besonderen Teil davon sollen Podcasts einnehmen, weshalb hunderte von neuen Spotify Originals eingeplant sind. Den bisher bekanntesten Coup leistete sich Spotify mit der Verpflichtung von Jan Böhmermann und Olli Schulz. Der damals noch für radioeins produzierte Podcast „Sanft & Sorgfältig“ wurde 2016 neu unter dem Label „Fest & Flauschig“ auf der Plattform veröffentlicht und zählt heute mit schätzungsweise mehreren 100.000 Zuhörern als der erfolgreichste Podcast auf Spotify.
hello world pic.twitter.com/8vnAiGiqsA
— Jan Böhmermann ???? (@janboehm) December 4, 2018
Podcastnation Deutschland
Während Deutschland nicht die innovativste Rolle zugesagt wird, was Digitalisierung angeht, sieht sich die deutsche Podcast-Szene im internationalen Vergleich an vorderster Stelle. In keinem anderen Land werden auf Spotify so intensiv Podcasts und Hörbücher gehört wie in Deutschland. Die aktive Weiterentwicklung des Podcast-Marktes lässt sich in Deutschland noch an weiteren Stellen beobachten:
- Podcast-Communities wie de zeichnen sich durch ihren aktiven Wissensaustausch aus
- Offline-Veranstaltungen wie die Subscribe sorgen für Networking in der Szene
- Podcast-Produktionsunternehmen wie viertausendhertz, fm oder die Metaebene erstellen professionelle Podcasts für Unternehmen
- In der Podcast-Szene aktive Entwickler programmieren Tools wie Ultraschall, um den Einstieg in die Welt der Podcasts noch einfacher zu gestalten
- Die OMR wollen mit Podstars die Monetarisierung des Formats weiter vorantreiben
Arten von Podcast-Produzenten
Prinzipiell lassen sich zunächst Video- & Audio-Podcasts unterscheiden. Doch bereits an dieser Stelle sollte einerseits hinterfragt werden, inwiefern sich ein Video-Podcast von einem YouTube-Video oder einer Sendung aus der ZDF-Mediathek unterscheidet. Andererseits existieren Formate wie „Jung & Naiv“, bei dem Video-Interviews parallel als Podcast (Audio-Spur only) veröffentlicht werden. Die Definition ist ausschlaggebend für das Verständnis eines Formats. Ich möchte an dieser Stelle nur Audio-Formate als Podcasts betrachten, wobei sich folgende Produzenten unterscheiden lassen:
- Medienunternehmen: klassische Unternehmen mit Medienbezug, für die Podcasts dadurch grundsätzlich in Frage kommen (Zeit, Spiegel, Kicker)
- Podcast-Unternehmen: Unternehmen, die sich ausschließlich mit der Produktion von Podcast-Formaten auseinandersetzen (Gimlet, Viertausendhertz)
- Indies: Persönliche „Marken“, die sich auf die Produktion von Podcasts spezialisiert haben und eine Vielzahl an Folgen veröffentlichen (WRINT)
- Unternehmen ohne Medienbezug: NGOs und Firmen, die keinen klassischen Bezug zu Medien besitzen und Podcasts dennoch als weiteren Kommunikationskanal einsetzen (Duolingo, Projecter)
Messbarkeit von Podcasts
Verwöhnte Marketing-Manager, geprägt von den Standards von Facebook und Google, werden enttäuscht sein, wenn sie zum ersten Mal Daten zu Podcasts sehen. Denn: Die Nutzung von Podcasts verlangt keine Accounts oder sonstige Anmeldung und ist nicht plattformspezifisch. Die zur Verfügung stehenden Daten sind damit nur in einem gewissen Maße aussagekräftig und nicht einheitlich. Je nach (Hosting-)Plattform werden u.a. folgende Daten erhoben:
- SoundCloud: Auf dieser Plattform sind die KPIs ziemlich minimalistisch. Es werden lediglich sogenannte „Plays“ angegeben, die wohl automatisch mit dem Abspielen einer Episode gleichgesetzt werden. Außerdem finden sich Angaben zu den Orten der User, die verschiedene Episoden anhören bzw. herunterladen.
- iTunes: Die Audio-Plattform von Apple geht einen anderen Weg. Im Backend wird die Anzahl an Geräten kommuniziert, auf denen die jeweilige Podcast-Episode gehört wurde. Zudem wird aufgelistet, wie lange die Episode im Durchschnitt prozentual gehört wurde.
- Spotify: Die umfangreichsten Daten lassen sich auf der Streaming-Plattform ermitteln, was letztendlich an der Account-basierten Nutzung des Dienstes liegt. Spotify unterscheidet grundsätzlich zwischen „Starts“, „Streams“ und „Listeners“. „Starts“ zählen, sobald eine Folge abgespielt wird, während „Streams“ erst dann zählen, wenn eine Episode länger als eine Minute gehört wird. „Listener“ definieren schließlich die Anzahl an Hörern. Ähnlich wie in den YouTube Analytics kann eingesehen werden, an welcher Stelle der Episode die Personen aussteigen, wie alt die Hörer sind und woher sie kommen.
Ein umfangreicher Überblick zu den Nutzungszahlen von Podcasts lässt sich am besten über die verwendete Hosting-Plattform ermitteln. Die dort erstellten Feeds sind auf den verschiedenen Plattformen hinterlegt und alle gesammelten Daten fallen letztendlich darauf zurück. Wer bestmögliche Daten erhalten will, sollte bei der Auswahl des Hosting-Plattform ein genaueres Augenmerk darauf legen.
Nach der „Podcasting & Audio Market Map“ von Andreesen Horowitz wird eine Podcast-Episode im Durchschnitt 124 Mal heruntergeladen. Die Downloads für die Top 1% aller Podcasts liegen bei 35.000 pro Folge. Die Top 10% aller Podcasts liegt bereits bei 3.300 Downloads.
Podcasts finden und teilen
Podcasts werden gerne als Gegenstück zu Social Media bezeichnet. Sie sind lang, ausführlich und langsam, im Gegensatz zur schnellen und vergänglichen Social Media-Kommunikation. Im Vergleich zu Tweets oder Instagram Stories lassen sich Podcasts auch nur schwer teilen. Eine erste Abhilfe will Overcast verschaffen: In der Podcatcher-App lassen sich einzelne Schnipsel einer Episode erstellen und anschließend auf den üblichen Plattformen teilen.
Inwiefern sich Podcasts als teilenswerte Formate etablieren, wird die Zukunft zeigen. Interessanterweise finden die Audio-Formate immer mehr Gehör in den Suchmaschinen. Einerseits schenkt Google den Inhalten von Podcasts kontinuierlich steigende Aufmerksamkeit, andererseits finden sich rein auf Podcasts ausgerichtete Suchmaschinen.
Monetarisierung von Podcasts
Die Möglichkeiten für eine professionelle Aufnahme und Distribution von Podcasts ist 2019 ohne große Umstände und Budget möglich. Dennoch darf die dafür aufgebrachte Zeit nicht unterschätzt werden. Für eine 40-minütige Aufnahme können gerne nochmals mehrere Stunden an Post-Produktion eingeplant werden – Zeit und Aufwand, den viele Podcaster selbstverständlich gerne monetär ausgeglichen haben möchten. Je nach Ziel und Absichten von Podcasts sind folgende Einnahmequellen möglich:
- Werbung & Sponsoren
- Freiwillige Unterstützung der Hörer
- Paid Content
- Branded Content
- Mitgliedschaften & Abos
- Weitere Einnahmen (z.B. Merch & Live-Veranstaltungen)
Glaubt man der „Podcast & Audio Market Map“, so nehmen Podcasts pro Folge im Durchschnitt 12$ ein, vorausgesetzt sie haben sich aktiv für eine Form der Monetarisierung entschieden. Die Einnahmen sind natürlich – analog zu anderen Online-Formanten – eng an die Reichweite von Podcasts gekoppelt. Grundsätzlich befindet sich die Monetarisierung von Podcasts noch in den Kinderschuhen. Professionelle Entwicklungen der Vermarktung finden sich derzeit u.a. bei Podstars, einem Ableger der Online Marketing Rockstars.
Die Monetarisierung von Podcasts erfolgt prinzipiell durch Werbung innerhalb der Folgen. Die sogenannten „Ad-Rolls“ zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie direkt vom Podcast-Host eingesprochen werden und damit die aufgebaute Bindung des Hörers zum Host einsetzen – ein Grund, weshalb Werbung in Podcasts vor allem aufgrund seiner direkten und authentischen Wirkung Potential verspricht. Bezüglich der eingesetzten Formate lassen sich Pre-Rolls, Mid-Rolls und Post-Rolls unterscheiden, die sich namensgebend zu Beginn, in der Mitte oder am Ende einer Folge befinden können. Podcaster, die Wert auf ihre Hörer legen, kennzeichnen Werbung durch einen Hinweis in den Episoden.
Interessant: Der deutsche Markt zeichnet sich durch eine auffällige Spendenbereitschaft der Hörer aus, z.B. auf Plattformen wie Patreon oder Steady.
Tl, dr: Podcasts sind großartig, aber …
Podcasts sind eine Gegenbewegung zu den schnelllebigen Social Media-Plattformen. Und gerade deshalb sind sie wahrscheinlich so beliebt. Sie schalten einen Gang zurück, nehmen sich Zeit und haben nicht den Drang der Eile. Gerade aufgrund ihrer Dezentralität sind sie zu dem geworden, was sie heute auszeichnet – trotzdem wiederholen sich Wünsche nach einer Zentralisierung.
Noch befindet sich der Markt für Podcasts in einer nicht festgefahrenen Situation. Gerade deshalb ist ein intensiver Blick auf die Podcast-Szene lohnenswert. Hier entsteht etwas Neues und Podcaster und Hörer werden selbst entscheiden, in welche Richtung sich dieses Format weiterentwickelt.