Virtuelle InfluencerInnen – Was MarketerInnen beachten sollten

Auf Instagram verzeichnet Shudu 204 000 Follower, Bermuda 262 000 und Lil Miquela versammelt mittlerweile eine gigantische Followerbase von 2,5 Millionen UserInnen auf ihrem Profil. Wegen ihrer Reichweite und der fleißig interagierenden FollowerInnen sind die drei für MarketerInnen sehr spannend. Dabei ist diesen InfluencerInnen allen gemeinsam, dass sie virtuelle, am Computer programmierte Figuren sind.

Das Phänomen „Lil Miquela“

Dass die Inhalte auf Instagram häufig weit davon entfernt sind, der Realität zu entsprechen, ist für die meisten von uns nichts Neues. Dennoch lassen wir uns immer wieder von den schönen Scheinwelten der InfluencerInnen beeinflussen. Auch Lil Miquela nimmt ihre Fans mit durch ihren Alltag, geht Marken-Kooperationen ein und promotet ihre neu-veröffentlichten Songs. Damit ist sie dieser Tage die mit Abstand erfolgreichste virtuelle Influencerin.

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Lil Miquela ist darauf konzipiert, 19 Jahre alt zu sein und ist eine Schöpfung des in L.A. ansässigen Startups Brud, welches auf Robotics und KI spezialisiert ist. Brud besitzt nicht einmal eine Homepage. Stattdessen gibt es für alle Neugierigen nur ein Google-Dokument mit wenigen Infos. Fragen wie „Is Miquela real?“ beantwortet das Startup dort lediglich mit „As real as Rihanna“. Mit dieser albernen Aussage trifft es genau den Kern: In einer (Instagram-)Welt, in der durch Bildbearbeitung sowie durch dicke Schichten an Makeup und noch mehr Layern an Filtern ohnehin viel Künstlichkeit herrscht – wo ist da noch der Unterschied? Was macht es dann schon, wenn eine virtuelle Lil Miquela zu ihren FollowerInnen spricht?

Dennoch bleibt die Frage offen: Wie glaubwürdig können die virtuellen InfluencerInnen sein? Was kann eine nicht real-existierende Person, die animiert ist und aus Nullen und Einsen besteht, schon über Produkte aussagen, die für den Menschen hergestellt werden?

Marketing und virtuelle InfluencerInnen

Trotz solcher Fragen stehen die virtuellen InfluencerInnen für eine sehr futuristische Art des Marketings. Wollen Unternehmen mindestens am Zahn der Zeit bleiben, dann sollten sie diesen Trend im Auge behalten, um womöglich neue Arten von Zielgruppen erreichen zu können. Das ist auch der Grund dafür, warum immer mehr Marken mit den virtuellen InfluencerInnen zu tun haben wollen. Dass z.B. Lil Miquela unter anderem für Riesen wie Samsung, Calvin Klein oder Nike wirbt, spricht für sich. 2018 war sie sogar in der Liste „Most Influential People on the Internet“ von Time.

Was sind dabei die Strategien, mit denen im virtuellen Influencer-Marketing derzeit experimentiert wird?

  1. Hallo, reale Welt: Videobearbeitung haucht den virtuellen Figuren Leben ein. So können sie auch in einem realistischen Format eingesetzt werden. Virtuelle Models gemeinsam mit ihren menschlichen Gegenstücken in Werbungen zu zeigen, geschah bereits des Öfteren. Eine Videoanzeige, in welcher Supermodel Bella Hadid und Lil Miquela einander küssen, hat für viel Aufsehen gesorgt. Völlig selbstverständlich in menschlichen Settings platziert, gibt Lil Miquela übrigens auch Interviews: So beispielsweise gesehen in der Show des bekannten Radio-Hosts Zach Sang. Den Kommentar einer Userin „Girl what the Black Mirror is going on” können außer mir anscheinend noch über 19.000 weitere Personen sehr gut nachvollziehen.
  2. Volle Kontrolle: Spannende Stories, aber auch Skandale sorgen für eine Menge Publicity. Und wenn der Skandal erfunden ist und die Spielfiguren dessen keine Menschen sind, kann nichts Unvorhergesehenes geschehen. Lil Miquelas Instagram-FollowerInnen wurden beispielsweise zwei (!) Jahre darüber im Dunkeln gehalten, ob sie denn nun real ist oder nicht. Zu ihrem „Zwangsouting“ wurde sie von ihrer virtuellen Kollegin Bermuda erpresst, die Lil Miquelas Account übernommen hatte. Auch Bermuda ist eine Schöpfung von Brud. Miquelas Enttarnung ob ihrer Virtualität war marketingtechnisch für das Unternehmen einfach genial.
  3. Virtuelle Mikro-InfluencerInnen: Die Vorteile von Mikro- und Nano-InfluencerInnen sind im Instagram-Marketing weitgehend bekannt. Auch virtuelle Nischen-InfluencerInnen können sinnvoll sein, um glaubwürdiger zu erscheinen und einen engeren, sozialen Austausch mit den FollowerInnen zu ermöglichen. Damit können die (bereits sehr guten) Engagementraten gegenüber den virtuellen InfluencerInnen weiter gesteigert werden.

Virtuelle InfluencerInnen unterscheiden sich im Marketing zu echten gar nicht schwerwiegend, nur, dass der menschliche Unsicherheitsfaktor rausgestrichen wird. Auch auf finanzieller Ebene lassen sich Kosten für Unternehmen einsparen – Dinge wie Reise- oder Wohnkosten entstehen nicht.

Über Aussehen bis Charaktereigenschaften könnten Unternehmen in Zukunft bestimmen, wie der oder die eigene virtuelle MarkenbotschafterIn sein soll. Zeit für Haare und Makeup würde es nicht brauchen, der/die virtuelle InfluencerIn würde nie müde aussehen oder zu spät kommen. Sollte sich dieses Geschäftsmodell also weiterentwickeln, kann es dann realen InfluencerInnen ihre Jobs kosten? Mit diesen computeranimierten Standards kann schließlich kein Mensch mithalten.

Die Sache mit der Echtheit

Welches Potenzial steckt für MarketerInnen in den virtuellen InfluencerInnen

Virtuelle InfluencerInnen sind von einem gewissen Geheimnis umgeben. Deshalb sind sie auch so spannend und attraktiv für FollowerInnen wie MarketerInnen. Bisher erhält man nur kleine Einblicke, wer hinter den virtuellen Figuren steckt. Bei Lil Miquela ist es anscheinend ein 12-köpfiges Team. Was genau, wie und warum etwas gemacht wird – großes Fragezeichen. Da bereits heute immer mehr virtuelle InfluencerInnen-Agenturen aus dem Boden schießen, wird die Entwicklung dieser Charaktere aber irgendwann in den Mainstream übergehen und das Geheimnis um sie nicht mehr existieren.

Obwohl sie heute noch so rätselhaft sind, hält uns ihre virtuelle Natur nicht davon ab, uns auf Lil Miquela und Co. beziehen zu können. Das wird in den Kommentarspalten von Instagram deutlich und darin, wie die FollowerInnen dort mit den virtuellen InfluencerInnen interagieren. Diese besitzen individuelle Charaktere und Hintergrundgeschichten und verhalten sich gänzlich menschlich. Dabei sehen sie nicht 100% realistisch aus; man sieht ihnen ihre Künstlichkeit durchaus an. Das schadet ihrer Glaubwürdigkeit aber nicht, denn genau hier liegt der Knackpunkt: Wir selber haben uns über die Jahre zu kleinen Avataren auf Instagram entwickelt. Manche InfluencerInnen treiben es mit ihrer Bildbearbeitung so weit, dass sie selbst wie CGI-Charaktere aussehen. Eine Vielzahl von ihnen ist so unecht geworden (Was sind eigentlich Poren?), dass UserInnen gar nicht mehr stutzig werden, wenn etwas noch ein Stück digitaler/virtueller aussieht. Genau deshalb kann eine Lil Miquela auch so authentisch sein.

Fragen über Fragen

So kann die Beantwortung der Frage „Is Miquela real?“ mit „As real as Rihanna“ letztendlich auch folgendermaßen interpretiert werden: Genau wie Lil Miquela war der Popstar eine Kunstfigur, hinter der zahlreiche Köpfe steckten, die sie durch ihre Karriere geleitet haben. Heute ist sie eine schwer erfolgreiche Unternehmerin und einflussreiche Ikone. Erhofft sich und plant Brud diese Zukunft auch für Lil Miquela?

Gänsehaut bereitet das schon, denn man darf bei alledem nicht vergessen, dass virtuelle InfluencerInnen ein hoch kontroverses Thema sind. Nichts, was sie zeigen, ist echt. Wie kann es beispielsweise sein, dass die MacherInnen von Lil Miquela 2019 einen Vlog veröffentlicht haben, in dem sie sich als Opfer eines sexuellen Übergriffs beim Carsharing beschreibt? Es handelt sich um eine Fake-Geschichte zu realen Umständen, die alle Frauen verletzt, die so etwas wirklich erleben mussten.

Wie vertrauenswürdig sind virtuelle InfluencerInnen also überhaupt? Schaffen sie ein neues Level an Schönheitsdruck? Sollten virtuelle InfluencerInnen in Zukunft wirklich die Vorbilder junger Menschen sein? Sie bilden schließlich nicht die Realität ab. Doch wie viele der menschlichen InfluencerInnen tun das schon? – Wir landen wieder beim Problem mit der Echtheit.

Was bringt die Zukunft?

Die virtuellen InfluencerInnen sind die Zukunft – genauso aber auch die menschlichen. Man kann durchaus davon ausgehen, dass die programmierten Figuren zukünftig zunehmend häufiger in Marketing-Kampagnen unterschiedlicher Marken zu sehen sind. Dennoch werden sie auch in nächster Zeit nur einen geringen Teil des Marketings auf Instagram ausmachen. Welchen Part genau sie im Instagram-Marketing einnehmen werden, wird sich noch zeigen.

Da sie nichtsdestotrotz Wettbewerber der menschlichen InfluencerInnen sind, müssen diese schlichtweg an ihren Inhalten arbeiten. Diese sollten nicht nur qualitativ besser sein, sie müssen auch näher an ihre FollowerInnen rücken und somit deren Loyalität stärken. Damit sollten sie sich nicht zu viel Zeit lassen, denn auch eine Lil Miquela macht das: So dient ihr Kanal bei Weitem nicht nur Werbezwecken, sie vertritt auch Ansichten und Werte. Black Lives Matter, Trans Rights und gleiche Bezahlung für Frauen sind nur einige der Themen, für die sie sich einsetzt. Diese Art von „Authentizitäts-Druck“ könnte dazu beitragen, dass den echten InfluencerInnen gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als wieder „echter“ zu werden. Was genau das bedeutet? Das Thema „virtuelle InfluencerInnen“ wirft definitiv mehr Fragen auf, als dass es sie beantwortet.

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